Meinung | Romani Voices | Teil 2: Meinung zu „Die Zeit der Zigeuner“ (1989)

Source: kustu.com

 

Romanes | Rumänisch

 

Die Reihe „Romani Voices“ gibt Menschen aus der Roma Community die Möglichkeit ihre Meinung zu veröffentlichen. Der folgende Text ist von Laura Moldovan. Der folgende Text ist keine Filmkritik. Er stellt nicht die Fähigkeiten von Kusturica als Regisseur in Frage. Dieser Text beschreibt die Wahrnehmung von Laura Moldovan. Es ist ihre Analyse der „Zigeuner“, die Kusturica in seinen Filmen zeigt und eine Analyse davon was diese konstruierten „Zigeuner“ und deren karikierte Welt mit der Wahrnehmung jener Menschen macht, die diese preisgekrönten und hochanerkannten Filme sehen.

Der Text gliedert sich in 4 Teile: ein Intro und 3 Einzeltexte zu verschiedenen Filmen:

 

Teil 1 Intro | „Emir Kusturica und seine Zigeuner“ –> Teil 1 Audio Version

Sie lesen gerade: Teil 2: „Die Zeit der Zigeuner“ (1989) –> Teil 2 Audio Version

Teil 3: „Schwarze Katze, weißer Kater“ (1998) –> Teil 3 Audio Version
Teil 4: „Blue Gipsy – All the invisible children“ (2005) –> Teil 4 Audio Version

oder hören sie sich alle Teile auf einmal an: Teil 1 – 4 Audio Version

 

 

 

Teil 2: Meinung zu „Die Zeit der Zigeuner“ (1989)

 

von Laura Moldovan

 

Seit Generationen sprechen Roma-Aktivisten und Roma, die sich politisch engagieren darüber, dass die Zeit gekommen ist, unser Recht in die Hand zu nehmen und gegen Ungerechtigkeit aufzustehen. Für jemanden, der Emir Kusturicas Werk  „Die Zeit der Zigeuner“ nicht gesehen hat, könnte der Titel wohl eben diese Emanzipation der Roma behandeln. Bis man sich als Zuseher eingestehen muss, dass „Die Zeit der Zigeuner“ wohl viel eher „Die Zeit der Antiziganisten“ hätte heißen müssen.

 

 

Über „Die Zeit der Zigeuner“ sagte Emir Kusturica 1989:

Warum die Zigeuner? Der einzige Grund ist, dass ich schockiert war, dass man Kinder verkaufen könnte.

Obwohl Menschenhandel eine sozialpolitische Problematik ist, die nicht nur Roma betrifft, sondern auch zahlreiche andere Menschengruppen weltweit, reduziert Kusturica die Roma in seinem Film auf diese Thematik.

Kusturica entscheidet sich nach seinen Recherchen dazu, die Roma im Film als Mafia darzustellen. Gleichzeitig verkauft er diese Entscheidung als eine weltoffene Wahl, die es ihm ermöglicht, erstmals eine andere, eine fremde Kultur darzustellen und kennenzulernen:

 

Screenshot „Time of the Gipsys“ „Roma als Mafia“

 

Die Zeit der Zigeuner war mein erster Schritt aus meinem Garten – hin zu einer anderen Kultur als meine eigene. Ich begann zu lernen, wie man eine andere Gesellschaft betrachtet“,

erklärt er in einem Interview in französischen Zeitschrift „Le Monde“ 23. Jänner 1993. Dass Roma die Kultur des Balkan jahrhundertelang aktiv mitgestaltet haben, verschweigt Kusturica mit dieser Aussage gekonnt. In seinen Augen ist diese Minderheit in Europa fremd und exotisch.

 

 

 

Nach der Erscheinung des Films „Guardian Angel“ (1987) von Goran Paskaljevic, ist Kusturica auf einen Zeitungsartikel über einen Fall von Kinderhandel gestoßen, in dem kolportiert wurde, dass die Täter Angehörige der Ethnie der Roma seien. Im Rahmen seiner Recherchen sprach Kusturica mit den Autoren des Artikels, Journalisten und verbrachte eigenen Angaben zufolge viel Zeit in einer Roma-Community in Mazedonien.

Dass Roma in seinem Werk immerzu als „Zigeuner“ bezeichnet werden, ist wohl ein Zeichen dafür, dass Kusturica die Geschichte unseres Volkes nur spärlich recherchiert hat.

Von Beginn an fokussiert er sich ausschließlich auf die Darstellung negativer Aspekte unserer Lebensrealität und stets dazu bereit diese auszuschmücken und aufzublasen.

 

Magisch, mafiös, gottlos und heimatlos

 

 

Screenshot „Time of the Gipsys“
Screenshot „Godfather“

Zeitweise wirkt der Film „Die Zeit der Zigeuner“ sogar wie ein Remake von Godfather I & II. Kusturica hat sich offensichtlich einiges von Francis Ford Coppola abgeschaut. Abseits der äußerlichen Ähnlichkeit zwischen den Protagonisten Perhan und Michael Corleone, sowie Ahmed und Vito Corleone, werden auch die gleichen Themen behandelt, wie jene aus Coppolas Mafiaepos: Die Frage des bösen Nachfolgers des Paten und natürlich der Aufstieg und Fall einer Familie, eines Mafiaklans.

 

 

Screenshot „Time of the Gipsys“
Screenshot „Amarcord“

Für „Die Zeit der Zigeuner“ hat sich Kusturica offensichtlich auch von dem Film „Amarcord“ von Federico Fellini inspirieren lassen. Motive, wie Hochzeiten und Bankette in der Natur, ein verrückter Erzähler zu Beginn des Films, das Akkordeon und sogar eine Szene mit Truthahnhypnose erinnern an Fellinis Welt des Zirkus.

 

 

Screenshot „Time of the Gipsys“ Das Haus hebt ab

 

Der Film basiert auf einem äußerst rassistischen Weltbild das durch verschiedene Motive dargestellt wird: Der Originaltitel des Films („Dom za vešanje“) bedeutet auf Deutsch soviel wie „Das Haus zum Aufhängen“. Eine Szene im Film ist für den Titel besonders treffend und steht symbolisch dafür, dass Roma keine echten Häuser hätten, kein Zuhause und keine Heimat. Diese Szene steht auch für das stetige „Überleben der Roma“, die selbst dann noch da sind wenn andere ihre Häuser in die Luft jagen oder zerstören. Für den Vertrieb des Films im Ausland wurde der Titel aus Marketinggründen in „Die Zeit der Zigeuner“ (engl. „The time of the Gypsies“) geändert.

 

 

 

Hochzeiten sind ein immer wiederkehrendes Motiv in allen Filmen von Kusturica, so auch in diesem. Bereits in der Eingangsszene des Films beschimpft eine Romni im Hochzeitskleid ihren völlig betrunkenen Ehemann und wirft ihm vor, er hätte ihr Leben zerstört. Diese Szene wiederholt sich zum Schluss in einer anderen Konstellation. Kusturica impliziert damit, dass Roma elende und schlechte Ehemänner sind, und dass sie nicht nur ihr eigenes Leben zerstören, sondern auch das Leben ihrer Frauen.

 

 

Das Grundmotiv im Verhalten aller agierenden Figuren wird zu Beginn des Filmes (siehe Youtube Clip)  von einem offensichtlich verrückten Protagonisten erklärt. Dieser beschwert sich darüber, dass ihm seine Freiheit genommen, seine Flügel gestutzt und seine Seele beschnitten wird. Dies unterstellt den Roma abermals Rastlosigkeit und Heimatlosigkeit. Meine Interpretation ist, dass Kusturica damit sagen will, dass die Roma sich nicht integrieren möchten und lieber stur auf ihre angebliche Freiheit beharren, um auf ihre „eigene Lebensart“ beibehalten zu können, obwohl das für die anderen Menschen störend ist und Unbehagen auslöst.

 

 

Screenshot „Time of the Gipsys“

Ein weiteres Motiv, das den Film prägt, ist Religion in Verbindung mit Mystik und Magie. Ebenfalls zu Beginn des Films wird eine Legende über Gott und die Roma in die Geschichte eingeführt. Die Legende erzählt davon, wie Gott auf die Erde kam, und sie wieder verließ, weil er die Roma nicht ertragen konnte. So wären die Roma letztlich selbst an ihrer prekären Lebenssituation schuld, da sie sogar den Herrgott verjagt haben sollen. Diese Legende existiert in der Roma Community nicht, sie ist eine Erfindung von Kusturica. Seine psychologische Motivation dahinter ist zu hinterfragen. Vielleicht leidet er, so wie viele Regisseure, an einem Gott-Komplex? Vielleicht wollte er dem Film noch mehr Magie und Mystik verleihen um die Stereotype zu verstärken?

 

 

 

Screenshot „Time of the Gipsys“

Kusturica selbst erklärte in einem Interview in der französischen Zeitschrift L’Express (1989), dass Magie zum Leben der Roma gehöre. Deshalb hätte er dem Charakter Perhan telekinetische Fähigkeiten verliehen und dessen Großmutter im Film mit Heilkräften ausgestattet. Das Motiv vom vergraulten Gott und der Hochzeit, kehren auch zum Schluss wieder und bilden den Rahmen der gesamten Handlung: In der letzten Szene des Films, betet ein Rom zu einem herabgefallenen Kruzifix, das er vom Boden aufhebt und an die Wand zurückhängt. Doch als er versucht mit Gott zu verhandeln fällt das Kreuz wieder zu Boden.

 

 

 

Die Zeit der Gänse

 

 

Screenshot „Time of the Gipsys“

 

Kusturica erklärte in einem Interview seinen Bezug zu Gänsen in seinen Filmen. Er hätte eine Legende gehört, die ihn sehr faszinierte, wonach Gänse die „Zigeuner“ vor zweitausend Jahren von Indien nach Europa gebracht hätten. Als Dank hätten die Roma den Gänsen ihre Flügel abgeschnitten. Auch die Symbolik der beschnittenen Flügel taucht in Kusturicas Werken immer wieder auf und stellt den Verlust von Freiheit dar. Tatsächlich verließen Roma den indischen Subkontinent vor etwa eintausend Jahren – mit hoher Wahrscheinlichkeit ohne die Hilfe von Gänsen.

 

 

 

Für Kusturica klingen Legenden besser, als die Realität. Durch sie kann er seine rassistische Denkweisen ausleben und den Antiziganismus in unserer Gesellschaft auch künstlerisch verstärken.

Wenn wir Kusturicas Filmen Glauben schenken wollen, zerstören die Roma ihre Leben selbst. Sie sind kein Europäisches, sondern ein stets fremdes Volk, das von den einheimischen Europäern ertragen werden muss. Nach seinem Kassenschlager „Die Zeit der Zigeuner“  brachte Kusturica 2007 „Time oft he Gypsies“ als Punk Opera auf die Bühnen von Paris und ließ sich dabei von seiner Band, dem „No Smoking Orchestra” musikalisch begleiten.

 

Die Zigeuner von Emir Kusturica haben ihre Federn schon lange verloren. Ob Emir Kusturica seine Feder nicht auch niederlegen sollte, sei einmal dahingestellt.

 

 

 

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