Meinung | Romani Voices | Teil 1: Emir Kusturica und seine „Zigeuner“ von Laura Moldovan

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Romanes | Rumänisch

 

Die Reihe „Romani Voices“ gibt Menschen aus der Roma Community die Möglichkeit ihre Meinung zu veröffentlichen. Der folgende Text ist von Laura Moldovan. Der folgende Text ist keine Filmkritik. Er stellt nicht die Fähigkeiten von Kusturica als Regisseur in Frage. Dieser Text beschreibt die Wahrnehmung von Laura Moldovan. Es ist ihre Analyse der „Zigeuner“, die Kusturica in seinen Filmen zeigt und eine Analyse davon was diese konstruierten „Zigeuner“ und deren karikierte Welt mit der Wahrnehmung jener Menschen macht, die diese preisgekrönten und hochanerkannten Filme sehen.

Der Text gliedert sich in 4 Teile: ein Intro und 3 Einzeltexte zu verschiedenen Filmen:

 

 

Sie lesen gerade: Teil 1 Intro | „Emir Kusturica und seine Zigeuner“ –> Teil 1 Audio Version

Teil 2: „Die Zeit der Zigeuner“ (1989) –> Teil 2 Audio Version
Teil 3: „Schwarze Katze, weißer Kater“ (1998) –> Teil 3 Audio Version
Teil 4: „Blue Gipsy – All the invisible children“ (2005) –> Teil 4 Audio Version

oder hören sie sich alle Teile auf einmal an: Teil 1 – 4 Audio Version

 

Informationen zu und Biographie von Emir Kusturica hier

 

TEIL 1 | INTRO

Emir Kusturica und seine „Zigeuner“

von Laura Moldovan

 

Er ist der wohl berühmteste Filmemacher aus der Welt der Roma. Ein Gadjo, dessen Name so untrennbar mit der Filmografie der Roma verbunden ist, wie kaum ein anderer. Die Verehrer seiner Werke sind überzeugt davon, aus seinen Filmen die Lebensrealität der Roma ganz genau zu kennen. Fast so als hätten sie mit den Hauptdarstellern von „Schwarze Katze, weißer Kater“ ihre Kindheit verbracht. Sogar die Roma selbst scheinen sich in seinen Filmen wiederzufinden. Erst bei einem genaueren Blick springt die Katze aus dem Sack: Die Werke von Emir Kusturica sind eine rein stereotypische Darstellung von dem, was die Mehrheitsbevölkerung als „Zigeuner“ kennt. Und der Antiziganismus sprengt die Kinokassen.

 

 

Schwarzer Wohltäter, weißer Lügner

 

Kusturica ist ein sehr intelligenter Mensch. Er verdreht bewusst die Tatsachen so wie es ihm passt:

Die Zigeuner meines Films überleben wie Insekten, nach dem natürlichen Selektionsprinzip, je nach der Schönheit der Farben und der Form der Flügel

sagt er 1999 in einem Interview im deutschen Novo Magazin, 1999. Er nennt uns „Insekten“, bedient sich somit nationalsozialistischer Rhetorik, ästhetisiert aber sogleich den Satz mit schönen Worten. Also: Zigeuner sind Insekten, Parasiten. Aber es gibt ja auch schöne Insekten, nicht? 2002 wurde Emir Kusturica von UNICEF zum Goodwill-Botschafter ernannt. „Ich wollte den Kindern so viel wie möglich helfen“ sagte er in einem Interwiev auf www.zmag.org.  Dass er in Wahrheit mit seinen Filmen die Zukunft der jungen Generation der Roma aufs Spiel setzt, indem er sie als die Parasiten der untersten Schicht der Gesellschaft darstellt, spielt hierbei sichtlich keine Rolle.

 

„Ich bin in einer Mittelklasse Familie in der Nähe des Ortes aufgewachsen, wo die Zigeuner lebten. Ich war immer begeistert von ihrer Freiheit, von der Art, wie sie das Leben akzeptierten, ihrer direkten Verbindung zu ihrer Freude, ihrer Kraft und ihrem Optimismus. Zigeuner haben eine sehr schlechte Position in der Gesellschaft, weil jeder Mittelklasse-Motherfucker gerne jemanden unter sich haben will. Wenn Sie in den Bezirk Skopje in Mazedonien gehen, wo die Zigeuner leben, werden Sie viele Menschen finden, die sie hassen und nichts mehr als mit einem Schritt über ihnen sein wollen“

sagte Kusturica in einem Interview mit Graham Fuller (1999).

 

 

DiZeit der Stereotypen

 

 

Die sogenannte „Freiheit“ der Roma wird in „Die Zeit der Zigeuner“ (1989) von einem verrückten hartnäckigen Protagonisten gleich zu Beginn des Filmes vehement verlangt. Das Gefühl entsteht, dass Roma einfach nicht normal und unterwürfig seien und sich nicht in die Gesellschaft integrieren wollen. Die „direkte Verbindung zur Freude“ der Roma wird auch in „Blue Gipsy“ (2005) gezeigt, als eine Art der Manipulation, bei der die „Lebensfreude“ benutzt wird um Leute zu bestehlen. Siehe YouTube Ausschnitt:

 

 

Durch die gezeigte Szene entsteht beim Publikum der Eindruck, dass man sich von „frohen Roma“ nicht beirren lassen sollte. Musik, Tanz und Lebensfreude – die einzigen positiven Eigenschaften, die den Roma zugeschrieben werden – werden von Kusturica im Kontext als negativ gezeigt.

 

In „Schwarze Katze, Weisse Kater“(1998) wird klar gezeigt, dass diese „Freiheit“ und „Lebensfreude“ für Kusturica viel mehr Frechheit und eine primitive Einstellung zum Leben bedeuten. Wie in dieser Szene in der ein junger Mann seinen Opa mit einer Musikkapelle aus dem Krankenhaus abholt.

 

 

Ein beliebtes Motiv in seinen Werken sind Roma, die wie Insekten überleben. Trotz dieses wiederkehrenden Bildes findet sich in Kusturicas Filmen keine Spur einer Darstellung des Völkermordes an den Roma. Symbole dafür erkennen wir in Szenen, wie jener aus „Die Zeit der Zigeuner“, in dem ein schwebendes Haus zu sehen ist.

 

Screenshot „Black cat, white cat“  „Auferstehung“

 

 

Auch die zwei alten Männer aus „Schwarze Katze, weißer Kater“ die am Ende des Films (Spoiler alert!) vom Tod auferstehen, sind von dieser Symbolik gezeichnet. Den Zuschauern wird durch das Motiv des Überlebens die Frage suggeriert: „Warum sterben sie einfach nicht?“. Und am Ende dieser Frage, steht schließlich statt dem Fragezeichen das Verlangen danach, die Roma auszulöschen.

 

 

 

 

Satire Als Deckmantel Für Rassismus

 

Kusturica nutzt die Kunst des Films um seine persönlichen, rassistischen Vorstellungen geschützt durch das Format der Satire ungebremst auszuleben. Jedes Detail hat eine Bedeutung und hinter jeder Pointe versteckt sich eine Symbolik.

Weil wir keinen eigenen Staat haben, keine politische Vertretung und kaum Instanzen, die sich für den Schutz der Rechte der Roma einsetzen, erlaubt sich Kusturica in seinen Filmen, die Roma herabzuwürdigen und zu diffamieren.

Hinter seiner Rhetorik und der Symbolik in seinen Filmen manifestiert sich ein versteckter Hass gegen Roma, regelrechter Antiziganismus.

 

 

Source: www.tumbler.com

 

Kursturicas Werke sind pauschalisierend. Negative Eigenschaften und Geschehnisse – wie Kinderhandel, arrangierte Ehen, Zwangsheirat, Betteln, Drogen, Gewalt, Diebstahl, Schmuggel, Korruption und Glücksspiel – werden den Roma als typisch zugeschrieben und zur Herkunft gemacht.

Traditionen und Gewohnheiten der Roma auf der anderen Seite werden verspottet und übertrieben dargestellt. Die Figuren sind äußerlich nie besonders attraktiv: Häufig sehen wir Charaktere mit Goldzähnen, Hüten und Schnurrbärten. Ihre Kleidung ist kitschig und geschmacklos, ihre Namen fremdländisch und seltsam.

 

 

Seine Hauptcharaktere sind oft Antagonisten mit menschlichen Zügen. Selbst wenn sie zu anfangs mit ihren „nicht-zigeunerischen“ Zügen die Herzen der Zuseher gewinnen, zeigen sie zum Ende hin stets, dass sie als Ausnahme nur die Regel bestätigen.

 

Auffällig ist es, dass die „Zigeuner“ in Kusturicas Filmen stets isoliert leben, nach ihrer eigenen Art, von der Gesellschaft abgeschlossen. Der Kontakt mit den Nicht-Roma ist selten. Wenn sie doch auf Nicht-Roma trefffen, sind es Menschen, die Berufe ausüben, die den Roma in dieser geschaffenen Welt verboten sind: Priester, Bürgermeister, Ärzte, Krankenschwestern.

 

Denn hätte er einen Rom porträtiert, der integriert in der Gesellschaft einem jener Berufe nachgeht, hätte sich sein Bild eines kriminellen, faulen und primitiven Volkes filmisch nicht halten können.

 

 

Vom Idol zum Idioten

 

     
               Treffen zwischen Kusturica und Coppola  | Source: kustu.com 

 

Emir Kusturica war ein sehr großer Bewunderer von Francis Ford Coppola, was auch in seinen Werken häufig zum Vorschein kommt. Bei einem persönlichen Treffen mit dem Filmemacher bei den Filmfestspielen von Cannes am 11.Mai 1997 trafen sich Kusturica und Coppola persönlich. Erst jetzt bemerkte Kusturica , dass Coppola über ihn und seine Filme nichts gehört hatte. Dies hat ihn offensichtlich tief verletzt wie dieses Zitat zeigt:

Ich mache alles, um nicht wie Coppola zu werden,

erklärte er danach in einem Interview in der französischen Zeitschrift L’Evénement du Jeudi (2000). Dieses Statement sagt sehr viel über Kusturica aus. Er überschätzt stets seine Berühmtheit. „Ich sage nicht, dass ich ein Genie bin, aber…“ Bei jeglicher Konfrontation mit der Kritik zeigt sich Kusturica beschämt und beleidigt.

Er wollte mich nicht wiedererkennen, denke ich. Ich war erstaunt, dass er noch nie von einem einzigen meiner Filme gehört hatte

sagt er. Selbst aus seinem vormals größten Idol wird so ein Feind, da er die Anerkennung und den Ruhm nicht erhält, den er sich selbst zurechnet.

Ich habe Coppola schon mal gemocht. Heute macht Coppola Geschäfte. Er hat keine Zeit mehr, Regisseur zu sein. Er muss sehr unglücklich sein. Ich bin anerkannt, was große Vorteile bringt, wenn man Mittel für einen neuen Film finden muss. Ich setze mich jede Minute meines Lebens aus. Ich bin Schauspieler. Ich spiele Musik. Weil ich nicht Coppola sein will! Mit seinem dicken Bauch konnte er Rock nie spielen.

sagt er im  L’Evénement du Jeudi (2000).

 

 

Zigeunerflüsterer

 

Kusturicas Arbeit über Roma wurde mehrfach preisgekrönt. Die Arbeit eines Nicht-Rom, der sich auf dem Rücken meines Volkes sein Geld verdient und die Roma für seine Anerkennung und sein Prestige missbraucht hat. Unabhängig von seinem erworbenen Reichtum, ist schmerzhaft und schwerwiegend, wie er im Laufe der Zeit die Roma diffamiert hat, um sich eine erfolgreiche Karriere aufzubauen.

Als der populärste internationale Regisseur für Filme über Roma, hat er die Grundlage für viele der heutigen Vorurteile gelegt. Ich bin davon überzeugt, dass Kusturicas Filme maßgeblich dazu beigetragen haben, dass sich bei seinen Zusehern ein negatives Bild unserer Minderheit verfestigt, und die Xenophobie und der Antiziganismus stark zugenommen haben. Kusturica ist ein Wanderer, so wie die fiktiven Märchenzigeuner in seinen Filmen.

Ich bin ein Mensch ohne Land, der zwischen Paris und New York und Belgrad und Montenegro reist. Meine Wurzeln liegen in der Herzegowina, aber die Nationalität ist mir egal.

sagt er im Interwiev mit Graham Fuller. Nach dieser Logik sollte er doch eigentlich seinen Zigeunern gegenüber emphatisch sein, nicht?

 

Warum hat Emir Kusturica dann solch einen Hass gegen Roma? Vielleicht hat er dieser Frage sogar schon selbst beantwortet:

 

Weil jeder Mittelklasse-Motherfucker gerne jemanden unter sich haben will.

 

 

 

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